Europäische Architektur: der Giebelschmuck Giebelschmuck auf Fischland-Darß-Zingst

Habt ihr schon einmal diese hübschen Verzierungen an Dachkanten oder Dachüberständen bei uns auf dem Darß gesehen? Gerade an den Giebeln älterer Häuser sieht man die aus Holz geschnitzten Ornamente öfter. Doch woher kommt der Giebel überhaupt, welche Bedeutung hat er und was für Motive gibt es?

Der bekannteste Giebelschmuck sind wohl die zwei gekreuzten Pferdeköpfe an der Spitze des Hauses, wo die Dachflächen zusammenlaufen. Doch es gibt noch deutlich mehr Varianten der Giebelzierde. Das liegt unter anderem daran, dass diese Verzierungen früher noch ganz andere Bedeutungen hatten. Was den Giebel zu einem der ältesten und bedeutendsten Elemente der europäischen Architektur macht, erfahrt ihr hier.

Was ist ein Giebel?

Der Giebel ist eine dreieckige Oberfläche in der Dachkonstruktion. Das Dreieck wird folgendermaßen gebildet: Die obere Spitze ist der obere Eckpunkt des Dachfirstes, der Stelle, an der zwei Dachseiten aufeinander treffen. Die beiden Seiten des Giebels sind entsprechend die Dachkanten. Den unteren Abschluss des Dreiecks bildet die untere Querverbindung der Dachkanten. Meistens ist diese auf der Höhe der Traufe, direkt oberhalb der Regenrinne. Traufe nennt man das Endstück des Daches, an der während des Regens das gesammelte Wasser abtropft.

Die giebelseitige Fassade eines Hauses wird auch Giebelwand oder Stirnseite genannt. Für gewöhnlich ist sie deutlich schmaler als die Längsseiten des Gebäudes. Wird dieser Giebel nun geschmückt oder durch Anbauten verziert, spricht man von einem Ziergiebel oder auch Giebelschmuck. Das Wort Giebel gibt es im Deutschen übrigens bereits seit dem 10. Jahrhundert!

Das Satteldach mit Giebel ist auch noch bei modernem Hausbau sehr beliebt. © Shutterstock, Finecki
Das Satteldach mit Giebel ist auch noch bei modernem Hausbau sehr beliebt. © Shutterstock, Finecki

Haben alle Häuser einen Giebel?

Grundsätzlich könnt ihr einen Giebel bei jeder Hausform vorfinden, bei der das Dach über eine Neigung verfügt. Je nach Dachkonstruktion ändert sich dabei die Form des Giebels. Bei einem Flachdach ist keine Neigung vorhanden, sondern nur die Traufe. Doch auch wenn ihr bei einem Flachdach keine echte Giebelfläche finden könnt, spricht man bei einem Flachdach von einem Flachgiebel.

Das klassische Giebeldreieck entsteht bei der häufig verwendeten Form eines Satteldaches. Das Satteldach wurde vor allem bei alten, historischen Bauernhäusern, den Hallenhäusern, verwendet. Wurde bei der Dachform ein Walmdach gewählt, welches auch auf der schmaleren Giebelseite eine geneigte Dachfläche hat, ersetzt dieses Dach den Giebel. Wurde der Giebel nicht vollständig “abgewalmt”, sondern nur etwa die Hälfte, entsteht ein trapezförmiger Giebel.

Worum handelt es sich bei Hallenhäusern?

Hallenhäuser nennt man bäuerliche Wohnhäuser aus dem 13. bis 15. Jahrhundert. Sie wurden meist als Fachwerkhaus mit breitem Satteldach gebaut. Den Bauern dienten die Hallenhäuser als großes Einhaus. Das bedeutet, dass die Wohnung, der Stallraum und das Erntelager in einem einzigen großen Haus zusammengefasst wurde. Dadurch wurde sich vor allem die Wärme der Tiere zunutze gemacht, Heizungen gab es schließlich noch nicht.

Erkennen könnt ihr ein Hallenhaus an dem großen Einfahrtstor an der Giebelseite, der bereits erwähnten Fachwerkbauweise und dem weit heruntergezogenen Dach. Die meisten Hallenhäuser waren zu der Zeit mit Reet gedeckt, einem sumpfigen Schilfrohr. Hallenhäuser, die heute noch stehen und mit Reet bedeckt sind, stehen für gewöhnlich unter Denkmalschutz. Gerade bei uns im schönen Norden finden sich noch einige dieser historischen Häuser.

Was ist ein Windbrett?

Habt ihr schon einmal einen Giebelschmuck gesehen, habt ihr auch schon Windbretter gesehen. Oben am Dachfirst, wo die zwei Dachseiten aufeinander treffen, ragen die Windbretter über das Dach hinaus. Dort wird es aus zwei Gründen angebracht: Zum einen dienen die Windbretter zur Abdeckung und verhindern das Eintreten von Luft am Giebel, sodass kein Durchzug entsteht. Zum anderen dienen sie der Erhaltung des Daches. Da die Dächer der Hallenhäuser meist mit Reet oder Stroh gedeckt waren, brauchte es etwas, das verhindert, dass die Kanten der Dacheindeckung ausfranst.

Bei Reet- oder Strohdächer dienen die Windbretter zum Erhalt des Daches. © Shutterstock, Ina Meer Sommer
Bei Reet- oder Strohdächer dienen die Windbretter zum Erhalt des Daches. © Shutterstock, Ina Meer Sommer

Woher kommt der Giebelschmuck?

Wir haben jetzt einiges über die Architektur des Daches erfahren. Schauen wir uns jetzt endlich den Giebelschmuck an. Giebelzierden sind im ursprünglichen Sinne die schmückende Krönung des Hausgiebels. Die ersten Giebelzeichen wurden bereits sehr früh in der Geschichte der Menschheit gebaut. Als die Jäger zu Landwirten wurden, brauchten sie stabilere Häuser, um sesshaft zu werden und ersten “echten” Besitz zu haben. Die vorher genutzten, mobilen Zelte der Nomaden waren für dieses Leben einfach zu anfällig. So entstanden die ersten Häuser und mit ihnen die ersten Windbretter mit Giebelzeichen.

In der Geschichte wurde der Giebelschmuck aus verschiedensten Materialien mit unterschiedlichsten Motiven hergestellt. Entwickelt hat sich der Giebelschmuck aus den Giebelzeichen. Diese wurden als Verlängerung auf sogenannte Windbretter verbaut. Die bekanntesten Giebelzeichen sind, wie bereits erwähnt, wahrscheinlich die zwei gekreuzten Pferde, welche ihr bei einigen alten Bauernhäusern an der Spitze des Dachfirstes bewundern könnt.

Dieses Pferde-Symbol stammt jedoch bereits aus einem viel früheren Zeitalter und ist keine modische Erfindung des 19. Jahrhunderts. Es wurden Felszeichnungen aus vorchristlicher Zeit gefunden, die darauf gezeichneten Gebäude werden als Tempel oder Heiligtum interpretiert. Diese Zeichen wurden durch die Geschichte immer wieder von Gruppen als Zeichen geistiger Macht verwendet. In der Frühgeschichte verwendeten Schamanen Symbole wie Drachen- oder Ziegenköpfe als Ritual für Schutz und Überleben für die Gemeinschaft. Im Verlauf der Christianisierung wurden diese heidnischen Symbole umgedeutet, um den christlichen Zwecken zu dienen.

Welche Bedeutung haben Giebelzeichen?

Das Übernatürliche begleitet die Menschheit von Beginn an. Die Faszination, dass etwas Übernatürliches wie Götter oder Geister existieren könnten, schlug die Menschen bereits vor tausenden Jahren in den Bann. Zur Zeit der ersten Häuser, etwa 6000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, wurden Naturerscheinungen, für die es keine Erklärung gab, als böse Geister interpretiert. Diese Geister suchten Schwachstellen in den Häusern der Menschen, um sich Eintritt zu verschaffen.

Eine dieser Schwachstellen war, neben Fenstern und Türen, der Giebel. Da es noch keine Kamine mit Schornsteinen gab, hatten die Giebel ganz oben am Dachfirst ein Loch, durch das der Rauch des innen liegenden Lagerfeuers entweichen konnte. Alle Schwachstellen der Häuser wurden mit spirituellen Maßnahmen geschützt. Ein alter Brauch, der sich aus dieser Zeit überliefert hat, ist das Legen einer Münze unter die Türschwelle. Und ein weiterer wurden die Giebelzeichen, wodurch die bösen Geister ferngehalten wurden.

Die gekreuzten Pferdeköpfe sind die ältesten und verbreitetsten Giebelzeichen. © Shutterstock, geogif
Die gekreuzten Pferdeköpfe sind die ältesten und verbreitesten Giebelzeichen. © Shutterstock, geogif

Welche Bewandtnis hat der Giebelschmuck heute?

In unserem Zeitalter hat sich die Menge an unerklärlichen Naturerscheinungen stark verringert. Folglich ist auch das Giebelzeichen selten als symbolischer Schutz zu verstehen. Heute wird der Giebel hauptsächlich aus ästhetischen Gründen geschmückt und mit einem Giebelzeichen ausgestattet. Schließlich sind auch die Windbretter nur noch selten notwendig. Unsere Häuser von heute brauchen zum Glück kein offenes Loch zur Rauchentweichung mehr und auch Reet oder Stroh wird nur noch selten zum Dachbau verwendet. Dennoch wird der Giebel weiterhin gebaut und mit Zierwerk und Giebelzeichen bekrönt.

Findet sich dieser nur auf Fischland-Darß-Zingst?

Giebelschmuck ist besonders in den ehemals germanischen Landen verbreitet. Nicht umsonst nennt man das Hallenhaus aufgrund seines regionalen Bezugs auch nierdeutsches Hallenhaus, oder wie in der früheren Forschung, Niedersachsenhaus. Deswegen könnt ihr gerade auf unserer nordischen Ostsee-Halbinsel viele alte Hallenhäuser mit unterschiedlichsten Giebelzeichen bewundern. Zusätzlich findet ihr bei uns noch eine ganze Reihe anderer Motive, die sich durch die Nähe zur Ostsee entwickelt haben, wie Seepferdchen, Schiffe oder Fische – aber sehen wir uns doch die Giebelzeichen noch einmal genauer an..

Mit welchen Motiven werden Giebel geschmückt?

Gerade im Ostseeraum werden die Giebel mit den vielfältigsten Motiven ausgestattet. Welche Symbole ihr wo finden könnt, hängt dabei oft von der Geschichte des Ortes oder dem Hintergrund des Hauses ab. Die bekanntesten Symbole, wie gekreuzte Pferdeköpfe, Harfen, Blumen, Blätter oder Wendelknüppel (ein senkrecht stehender, verzierter Balken) lassen sich in fast allen Ländern rund um die Ostsee finden.

Tierköpfe zählen dabei zu den beliebtesten Motiven: Rehe, Löwen, Hähne, auch Fabeltiere wie Greifen oder Drachen, werden gerne kunstvoll am Giebel angebracht. Bei uns auf Fischland-Darß-Zingst könnt ihr in Wustrow ein ganz besonderes Giebelzeichen sehen: Dort wurden zwei echte Pferdeschädel angebracht.

Ein Großteil des Giebelschmucks steht für die Berufe oder Hobbys der damaligen Bewohner. So könnt ihr an manchen Giebeln erahnen, welchem Beruf die Bewohner damals im 15. Jahrhundert nachgegangen sind. Oft findet man Giebel mit Hinweisen auf Kaninchenzucht, Taubenhaltung oder ihr seht das Handwerkszeug von Friseuren, Holzfällern oder anderen im Giebel verewigt.

Manche schmücken ihren Giebel auch gerne extravagant. Dieser Giebel bei uns in Wustrow mit 2 echten Pferdeköpfen ist ein echter Hingucker. © Shutterstock,
Manche schmücken ihren Giebel auch gerne extravagant. Dieser Giebel bei uns in Wustrow mit 2 echten Pferdeköpfen ist ein echter Hingucker. © Shutterstock, ricok

Aus welchem Material bestehen die Motive?

Jahrtausende lang war Holz das beliebteste und wichtigste Baumaterial. Das liegt vor allem daran, dass es sich gut bearbeiten lässt und dabei eine lange Lebensdauer beweist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch die meisten Ziergiebel-Motive aus Holz geschnitzt wurden. Dennoch wurden Giebelzierden mit verschiedensten Materialien hergestellt: Stein, Kupfer, Zement, Beton, Schmiede- oder Gusseisen. Prinzipiell kann jedes Material zur Herstellung der schönen Motive verwendet werden, je nachdem, wie wichtig einem die Detailreiche ist.

Giebelschmuck in Ahrenshoop

Ihr wollt etwas nordische Kultur schnuppern und dabei die frische, salzige Seeluft genießen? Bei uns findet ihr die passende Unterkunft direkt am Strand in Ahrenshoop. Bei einer Wanderung über unsere schöne Halbinsel werdet ihr mit Sicherheit eine Menge faszinierender Giebelzeichen entdecken!

Beitragsbild: © Shutterstock, AR Pictures

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